Aus dem Vorwort
„Gandhi ist ein Name wie Jesus geworden“,7 sagte mir ein deutscher Freund, nachdem er einen Teil dieser Untersuchung gelesen hatte. „Darum stört es mich, wenn du M. K. Gandhi' schreibst.“ — Ja, ich tue es aus bestimmten Gründen, ganz be-wusst, und schreibe auch durchgängig nicht „Mahatma Gandhi“. — „Dann musst du es erklären!“
Der volle Name war Mohandas Karamtschand8 Gandhi. „Mahatma“ ist der Ehrentitel, den der hoch angesehene Dichter Rabindranath Tagore ihm gab, und bedeutet „große Seele“. Das ist in Indien eine Bezeichnung für eine heilige Person, die Göttliches ausstrahlt. M. K. Gandhi hatte wegen dieses Beinamens sehr unangenehme Folgen zu tragen, davon wird noch die Rede sein. Andererseits war, auch wenn er den Ehrennamen oft abwehrte, der dementsprechende Volksglaube eine Stütze für seinen Einfluss. Aber nicht wegen der Bedenken, die er gegen die Benennung vorbrachte, benutze ich eine andere als diese Benennungsweise, sondern deshalb, weil grundsätzliche Missverständnisse über diesen Menschen und seine Anschauungen mit solcher Vergöttlichung oder Heiligsprechung verbunden und weltweit verbreitet sind. Ein derartiges Vorverständnis hat bis heute das Verstehen irregeleitet. Obwohl es in dieser Arbeit nur um die sehr begrenzte Frage, wie er sich die Wirkungsweise seines Konfliktbearbeitungskonzepts vorstellte, und nicht um eine Würdigung von Person oder Werk des Inders insgesamt geht, muss, um den Weg für diese Frage frei zu machen, das falsche Vorverständnis abgewehrt werden.
Schon zu Lebzeiten M. K. Gandhis wurden solche Missverständnisse in Indien dadurch verfestigt, dass Sammlungen von Aussagen und Reden dieses Politikers besonderer Art, nämlich Anthologien, herausgegeben und gehandelt wurden wie heilige Verhaltensregeln oder moralische Vorschriften von hoher Autorität, so als hätte M. K. Gandhi in der Regel Handlungsnormen für alle verkünden wollen, die als zeitlos gültig anzusehen seien. ….